Wenn das Fremd- zum Selbstbild wird
Soziale Netzwerke bergen die Gefahr, dass ihre Nutzer in kindliche Denkmuster verfallen und dabei ihre Individualität aufgeben. Diese Warnung hat die britische Neurowissenschaftlerin Susan Greenfield von der Universität Oxford ausgesprochen. Unreflektierte Nutzer ließen sich von den Meinungen anderer leiten und würden die durch die eigenen Einträge erzeugte Fremd- zur Selbstwahrnehmung machen.
Viele Nutzer sozialer Netzwerke ließen sich von den Nachrichten und eingestellten Bildern ihrer digitalen Freunde stark beeindrucken. Dabei handelt es sich zumeist um positive Status-Meldungen, Fotos von besonderen Ereignissen, aus der Freizeit und aus dem Urlaub. Diese Omnipräsenz des „Lebens der anderen“ setzt uns Susan Greenfield zufolge unter Druck, „ebenfalls ein digitales “Superleben” führen zu müssen, anstatt sich eine Privatsphäre zu bewahren“, wie Dennis Lenz auf forschung-und-wissen.de schreibt.
Vor allem die neue Benutzeroberfläche Facebook-Home, bei der die Neuigkeiten der Freunde direkt auf dem Startbildschirm des Smartphones gestreamt werden, würden diese Art der „Besessenheit“ fördern. Die Nutzer würden zunehmend dazu tendieren „das Leben anderer zu überwachen und zeitgleich selbst jeden besonderen Moment in ihrem Leben bei Facebook und Co. festzuhalten“. Forscherin Greenfield befürchtet, dass wir damit uns selbst und unserer Individualität Schaden zufügen. Das Gehirn werde langsam von “Individualist” auf “öffentlicher Gemeinschaftsmensch” umprogrammiert.
Dennis Lenz zitiert weiter, dass das menschliche Gehirn durch seine einzigartige Anpassungsfähigkeit und Formbarkeit dem anderer Spezies überlegen sei. Indem „wir permanent auf Alarmbereitschaft getrimmt sind, was andere Menschen gerade tun oder welche Meinung sie derzeit vertreten, (…) bleibt unsere Denkweise eher kindlich, abhängig vom Verhalten und den Gedanken anderer”, so Greenfield. Wir reagierten anstatt zu agieren. Wir definierten uns über “Gefällt mir”-Klicks und die Anzahl der Antworten auf unsere Postings.
Begleiterscheinung dieser Entwicklung sei die Aufgabe der Privatsphäre, die die meisten Menschen vorgeblich sehr hoch schätzten, jedoch bereitwillig darauf verzichteten, nur um Teil der virtuellen Gemeinschaft zu sein. Darüber hinaus nähmen wir uns nicht mehr die Zeit, zu reflektieren, wie wir zu bestimmten Dingen oder Situationen stehen, sondern ließen uns von der Meinung anderer leiten. Im Endeffekt würden wir die Fremdwahrnehmung, die über uns in einem sozialen Netzwerk entsteht, zu unserer Selbstwahrnehmung machen.
Dies ist eine typisch kindliche Sichtweise, das unreflektierte Ringen um Aufmerksamkeit ist gleichzeitig meist auch ein inhaltsleeres. Wie Friedrich Nietzsche schrieb: „Auch die hohlste Nuss will noch geknackt sein.“ Das kann für den reflektierten Nutzer von sozialen Netzwerken nur Ermahnung sein, bei seiner Selbstdarstellung im Netz stets die eigene Geschichte zu verfolgen. Nicht naiv und absichtslos, aber authentisch und glaubwürdig. Der Originalbeitrag zu Susan Greenfields Studie, wie Nutzer sozialer Netzwerke ihre Individualität verlieren und in kindliche Denkmuster zurückfallen, steht im britischen Telegraph.