Was Agilität mit Romantik verbindet

face-of-a-queen-fragmentWas nicht abgeschlossen werden kann, bleibt Fragment. Das Fragment war demgemäß eine stilistische Grundform der Frühromantik. Zwar streben wir das Absolute an, doch können wir es nie erreichen. Aus dieser Erkenntnis heraus muss alles Denken und Dichten Annäherung bleiben. Ein ähnlicher Zugang besteht heute bei agilen Methoden der Software-Entwicklung, die auf die Management-Praxis angewendet werden.

Das Zeitalter der Aufklärung wird grob zwischen 1650 und 1800 datiert. In dieser Zeit herrschte die Vorstellung vor, dass rationales Denken alle Hindernisse des Fortschritts überwinden könnte. Berühmt ist Kants Zitat wonach die Aufklärung „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ sei, verbunden mit dem Motto „Sapere aude!“, „Wage zu wissen!“.

sapere_audeHeute wissen wir, dass Denken bei weitem nicht alle Vorbehalte beiseite schaffen kann. Interessant sind jedoch Ansätze, die im Verlauf der Romantik unter dem Aspekt der „Selbstfindung“ aufgetaucht sind. Friedrich Schlegel etwa möchte dazu die literarische Gattung des Essays nutzen, der oder das sich mit seiner experimentellen Haltung für alle philosophischen Fragen eignen würde.

Französisch „essayer“ heißt wörtlich „versuchen“. Beeinflusst durch die Französische Revolution, die als politisches Experiment aufgefasst wurde, betrachteten einige Zeitgenossen den „Versuch“ als Grundform empirisch-naturwissenschaftlichen Denkens. Entsprechend wird in der Frühromantik das Fragment zur angemessenen Grundform des Denkens erhoben: Gerade weil es unfertig ist, dient es dazu, einen Dialog zwischen Autor und Leser anzustiften, die als gleichberechtigte Partner gegenseitig ihre Erkenntnisfähigkeiten fördern.

Das Fragment (teilweise deckungsgleich mit einem Essay) ist damit nicht nur literarische Form oder erkenntnistheoretisches Werkzeug, sondern ein Sinnbild für die romantische Auffassung der Gesellschaft. Es geht um das freie Mit- und Nebeneinander eigenständiger und eigenwertiger Ideen. Voraussetzung dabei ist, dass wir alle nur Bruchstücke liefern und in unserem Werk unvollendet bleiben, wenngleich wir aber doch alle „das Absolute“, sprich die perfekte Lösung anstreben.

Interessanterweise taucht in einzelnen Schriften dabei sogar bereits der Begriff der „Agilität“ aus. So schreibt Friedrich Schlegel etwa in seinen philosophischen Fragmenten:

„Der Essay soll Motion machen, gegen die geistige Gicht ankämpfen, die Agilität befördern.“

Mit etwas Fantasie lässt sich hier bereits eine Antizipation heutiger Management-Praxis entdecken, die einen Umgang auf Augenhöhe fördert („freies Mit- und Nebeneinander“) und die das Prinzip geistiger Beweglichkeit unter dem Stichwort der Agilität zur Organisationsform erhebt. Dies beinhaltet, dieses Prinzip, das aus der Software-Entwicklung stammt (Stichwort Agiles Manifest), auf die Management-Praxis anzuwenden, mit Auswirkungen auf die gesamte Unternehmens-Organisation.

Laterale-Führung-SymbolDahinter steckt die Erkenntnis in „disruptiven“ Märkten – aktuell vor dem Hintergrund der „digitalen Transformation“ – schneller auf Änderungen reagieren zu können. Dafür ist es erforderlich, dass alle Mitarbeiter mehr Entscheidungsbefugnis erhalten, und dass die Kommunikation auf Augenhöhe auch verstärkt stattfindet. Entsprechend wäre das passende Bild der Organisation nicht mehr die Pyramide (Top-Down), sondern eher ein kreis, bei dem sich die strategische Geschäftseinheit (Geschäftsleitung) in der Mitte befindet und die weiter außen liegenden Business Teams an der Peripherie des Unternehmens vermehrt den Kontakt nach außen haben.

Auch im Bewusstsein, dass diese Entwicklungen niemals abgeschlossen sein und „Fragment“ bleiben werden, besteht Übereinstimung mit dem Gedankengut der Romantik. Der Anspruch an das Fragment, den Dialog zwischen Autor und Leser anzustiften, klingt beinahe nach „Rückkanalfähigkeit“ und „Web 2.0“.

In der Praxis gilt immer auch der Spruch „Versuch macht klug“. Insofern betrachte ich auch diesen Beitrag nur als kurzes „Essay“, dass „Motion machen und die Agilität befördern“ soll.

28. Oktober 2015 von JoergBenner
Kategorien: Mitarbeiter-Wissen, Verantwortung | Schlagwörter: , , , , , , , , | Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert