Fairplay im Alltag 06-2016 – Grenzen der Intuitionen

Versuche-GeistlaborIn einem Magazinbeitrag im Kölner Stadt-Anzeiger wurden jüngst „Versuche im Labor des Geistes“ behandelt. Gemeint sind philosophische Gedankenexperimente, die sich nicht wie ein naturwissenschaftlicher Versuchsaufbau darstellen lassen. Sie dienen – einem Interview mit der Professorin Dagmar Borchers von der Uni Bremen zufolge – dem Infragestellen von Intuitionen.

spidermantramZunächst ein Beispiel für ein solches Gedankenexperiment. Eine Straßenbahn gerät außer Kontrolle und droht fünf Personen zu überrollen. Ich könnte eine Weiche stellen, dann würde nur eine Person von der Tram (oder dem Trolley) erfasst. Vom Bonner Strafrechtler Hans Welzel 1951 erdacht, wurde das „Trolley-Experiment“ 1978 von der Britin Philippa Foot beschrieben. Im Film Spiderman II stellt ein Bösewicht den Helden vor die Entscheidung entweder eine von einer Brücke herabstürzende Straßenbahn oder seine Geliebte zu retten. Wie würden wir entscheiden? Ethiker sind sich durchaus uneins darüber, was moralisch richtig ist. Im Film gelingt dem Superhelden dank seiner Superkräfte beides.

Im Interview erläutert die Philosophin Dagmar Borchers, wie solche Gedankenspiele genutzt werden: Das Experiment ruft eine spontane Intuition hervor, gemäß der wir urteilen und handeln würden. Daraufhin lassen sich Argumente für oder wider ein solches Handeln finden. Intuitionen gelten in der Entscheidungsforschung als erworbenes „Erfahrungswissen“, das ins Unbewusste abgesunken ist. Es spiegelt unsere historische, kulturelle und soziale Prägung wider. Der für mich entscheidende Satz des Interviews lautet:

„Man kann die Entwicklung unseres moralischen Überzeugungssystems sogar als ein ständiges Infragestellen von Intuitionen beschreiben.“

Die Rolle der Gedankenexperimente ist dabei, Intuitionen gezielt auf Paradoxien und Widersprüche hin abzuklopfen und dabei Grenzen der Berechtigung unserer Überzeugungen abzustecken. Dabei geht es nicht um letzte, unumstößliche Gewissheiten, sondern darum, vermeintliche Überzeugungen zu hinterfragen. Der springende Punkt ist, dass wir unsere moralischen Ansichten anwenden müssen, und zwar nicht nur nach Schema F, sondern möglichst häufig unter einem Hinterfragen unserer Intuitionen.

SOTG_Be-Fair-MindedIm Sportspiel Ultimate Frisbee sind die Spielerinnen und Spieler angehalten, strittige Situationen selbst zu regulieren, ohne übergeordnete Instanz. Da geht es also um ein gemeinsames Verfahren, das eine Fortführung des Spiels gerade nach ungleich bewerteten Aktionen sicherstellt. Foul oder nicht Foul? Es ist ganz klar, dass Regelkunde hier weiterhilft, aber das alleine genügt nicht. Denn es handelt sich immer schon um Interpretation. Es geht vielmehr um eine Grundeinstellung, auch andere Meinungen gelten lassen zu können: Unter der Bedingung, dass zwei Meinungen bestehen, trotzdem sich zu arrangieren. Das Tollste daran: Auch diese Art der gemeinsamen Übung moralische Urteile zu fällen, funktioniert!

Als Anhang noch ein weiteres Experiment: Zwei Jobkandidaten haben jeweils zehn Münzen in der Tasche. Kandidat A weiß das von Kandidat B, nicht aber von sich selbst. Zudem hat der Personalleiter Kandidat A gesagt, Kandidat B würde den Job bekommen. Nun glaubt Kandidat zehn-muenzenA zu wissen. „Wer den Job erhält, hat zehn Münzen in der Tasche.“ Am Ende kommt alles ganz anders: Der Personalleiter hatte geblufft und es bekommt doch Kandidat A den Job. Seine Aussage war demnach wahr – jedoch ohne dass er es wusste. Die Definition von Wissen lautet klassischerweise „gerechtfertigte, wahre Meinung“. Nun war die Aussage von Kandidat A zwar wahr, aber eben nicht gerechtfertigt. Der US-Philosoph Edmund Gettier nutzte 1963 dieses Experiment, um die Definition von Wissen nachhaltig in Frage zu stellen.

13. Februar 2016 von JoergBenner
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