Fairplay im Alltag 08-2015 – Integrität im Teamsport

FAZ-KopfMichael Horeni hat auf plus.faz.net einen ausführlichen Beitrag zum Zustand des Fußballs in Deutschland und damit auch zu seiner gesellschaftlichen Bedeutung veröffentlicht. Unter dem Titel „Mit List und Tücke“ beschreibt er, dass Regeln einzuhalten im Fußball keineswegs die höchste Priorität hat: „Für Profis wie für Funktionäre gilt: nur nicht erwischen lassen.“ Die im Artikel behandelte Fairplay-Liga (vgl. meinen Beitrag auf frisbee-sport.de) ist nur ein erster Schritt, um etwas zu ändern.

Der Autor sammelt zahlreiche Beobachtungen, wonach Fairplay im deutschen Fußball weder auf Amateur- noch auf Profiebene eine große Bedeutung hat. Der Sinn der Regeln bestehe darin, sie möglicht weit zu dehnen oder sogar sie zu übertreten, ohne sich jedoch erwischen zu lassen:

„Schwalben im Strafraum. Verdeckte Ellbogenchecks. Zeit schinden. Taktisch foulen. Strafen für den Gegner fordern. Gegner provozieren. Schmerzen simulieren. Schiedsrichter anbrüllen. Schiedsrichterinnen betatschen. Die Unsportlichkeiten und Respektlosigkeiten, die Fußballern in Fleisch und Blut übergegangen sind, lassen sich kaum zählen. Und immer neue Varianten desselben unehrenhaften Spiels kommen hinzu.“

Was das Ganze noch abrundet, ist die Betrachtung der vielen mehr oder weniger eingefleischten Fußballfans, für die ein taktisches Foul, das eine gelbe Karte nach sich zieht, richtig ist. Es zähle bei dieser Haltung nur der eigene Vorteil, schreibt Michael Horeni, und wer so handle, dem werde „nicht Verachtung, sondern Anerkennung in der Branche zuteil: clever gemacht!“. Anders verhalte es sich etwa

„in England, wo schon Kinder dazu angehalten werden, dass sie auf dem Platz die Integrität ihres Sports zu schützen haben“.

SOTG_Be-Fair-MindedIn Deutschland dagegen werde im Fußball eine „oft eine tief verankerte Gauner-und-Schlawiner-Kultur“ ausgelebt. Besonders schlimm (und negativ vorbildlich) sind da solche Aktionen wie die Weigerung des Leverkusener Trainers Roger Schmidt, einem erteilten Platzverweis nachzukommen und das verbale Nachsetzen des Sportdirektors Rudi Völler, der dem Schiedsrichter Felix Zweyer unterstellte, dieser habe sich durch einen verweigerten Elfmeter revanchiert.

Das Beispiel des zu Unrecht gegebenen Phantom-Tors (von außen durch ein Loch im Tornetz), bei dem Leverkusens Stürmer Stefan Kießling nicht auf die Idee kam zu widersprechen, ist nur zufällig beim selben Verein angesiedelt. Viele weitere Beispiele (einige weitere davon im plus-faz.net-Beitrag) ließen sich hier nahtlos anfügen. So sei auch eine oft betriebene Abgrenzung der „sauberen“ Vereine gegenüber den korrupten Funktionären des Fußball-Weltverbands unzutreffend, heißt es weiter:

„In Wahrheit spiegelt sich im Verhalten der Funktionärskaste um die geschassten Blatters und Platinis dieser Fußballwelt die Geisteshaltung, mit der auch viele Stars, Trainer und Sportdirektoren auf dem Feld groß geworden sind: täuschen und tricksen für den eigenen Vorteil – und aufschreien, wenn man dabei erwischt wird.“

SOTG_Know-The-RulesEs fehle grundsätzlich der Respekt vor den Regeln. Dies ist eine zumindest teilweise zu verallgemeinernde Beobachtung im gesellschaftlichen Leben auch weit über den Fußball hinaus. Die Suche nach dem persönlichen Vorteil überwiegt gegenüber einem verantwortlichen Verhalten, das den vereinbarten Regeln und Gesetzen folgt.

Für den Fußball in Deutschland führt der Autor abschließend die bereits in einigen Regionen verbreitete Fairplay-Liga im Jugendbereich an. Kinder und Jugendliche müssen bei Fouls und Einwürfen selbst entscheiden, was erstaunlich gut funktioniert. Zusatzregeln dieser Liga sind, dass Eltern bis zu 15 Meter vom Spielfeld wegrücken müssen und dass auch Trainer zu sachlicher Zurückhaltung angehalten sind.

Eigenverantwortung bezüglich der Regeleinhaltung ist in meinen Augen ein großer Gewinn für alle Beteiligten. Im Teamsport Ultimate Frisbee hat sich das historisch Ende der 1960-er Jahre so entwickelt und wird bis heute von Jugendligen bis hin zu Weltmeisterschaften so gespielt. Voraussetzungen sind Regelkenntnis (Nationalspieler müssen einen schriftlichen Nachweis ablegen), ein respektvoller Umgang miteinander und die gegenseitige Selbstverpflichtung Fouls möglichst zu vermeiden.

SOTG_Communicate-RespectfullyDamit ist Ultimate sicherlich kein „besserer“ Sport. Es ist ein laufintensiver Teamsport mit einer Sportflugscheibe, der auf internationaler Ebene durchaus als Leistungssport betrieben werden kann. Aber er fördert neben athletischen und teamtaktischen Fähigkeiten auch die charakterliche Entwicklung der Mitspielenden. Insbesondere gefragt sind bestimmte Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Respekt (Zuhören) und – auch unter Adrenalin – Ruhe zu bewahren und gemeinsam rasch eine Konfliktlösung anzustreben.

Die Fairplay-Regelung, die auch im Sinne eines Streitschlichtungs-Verfahrens zu lesen ist, findet sich im Paragrafen 1 der Ultimate-Regeln unter dem Stichwort „Spirit of the Game“. Darin wird die gegenseitige Selbstverpflichtung als ein Ehrenkodex bezeichnet. Die Grundlagen in Kürze: Alle Spieler sind selbst dafür verantwortlich, die Regeln zu befolgen und ihre Einhaltung zu überwachen (§ 1.1). Dazu müssen sie im Falle einer vermuteten Benachteiligung unmittelbar selbst den Mund aufmachen. Nach einer solchen Spielunterbrechung wird dann mittels dezidierter Vorschriften versucht, die Spielsituation so wiederherzustellen, wie sie ohne die Regelverletzung gewesen wäre (§ 1.2).

SOTG_Enjoy-PlayingAuf Meisterschaften und auch bei vielen Freundschaftsturnieren bewerten sich die Teams nach jedem Spiel gegenseitig in Hinblick auf ihr Fairplay-Verhalten. Dadurch besteht im Ultimate ein formalisiertes Fairplay, was einen wesentlichen Unterschied gegenüber dem sonstigen informellen Fairplay-Verständnis darstellt. Diese Grundlagen schaffen für die Teilnehmenden – trotz starken sportlichen Wettbewerbs – gewöhnlich ein familiäres Umfeld der Sympathie und der Freude.

Wer Interesse daran hat, Ultimate kennenzulernen, kann das in einem der rund 100 Vereine in Deutschland tun, die den Sport anbieten. Wer näheres Interesse an der Streitschlichtungs-Konzeption hat, möge mich bitte kontaktieren.

27. Februar 2016 von JoergBenner
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