Fairplay im Alltag 19-2016 – Resonanz

Können-nur-dynamischAnlässlich der phil.cologne hat der Jenaer Soziologie-Professor Hartmut Rosa im Magazin des Kölner Stadt-Anzeigers ein Interview zum Thema Beschleunigung und Optimierungswahn gegeben. Als wesentlichen Faktor arbeitet er die Resonanz heraus.

Im Interview unterscheidet er zunächst drei Bereiche, in denen Beschleunigung zu beobachten ist: In der Technik, etwa in Produktion, Transport und Kommunikation, in den Zeiträumen, in denen gewisse Handlungsorientierungen gültig sind, und im Lebenstempo einzelner Menschen. Dennoch wäre es ganz falsch zu sagen, alles werde schneller, denn sowohl ein Tag hat weiterhin 24 Stunden, als auch pflegen einzelne Kulturen einen ganz eigenen Umgang. Beschleunigung findet nicht statt in indigenen Stämmen, etwa bei der Slow-Food-Bewegung oder bei Amish People oder in der Bürokratie.

Resonanz-BuchdeckelHartmut Rosas eigentliche These aber ist, „dass seit dem 18. Jahrhundert die Beschleunigungskräfte systematisch die der Verlangsamung überwiegen.“ Problematisch würden diese Beschleunigungs-Prozesse jedoch erst, wenn sie zu Desynchronisations-Phänomenen führten. Dies ist der Fall, wenn Rohstoffe aus der Natur schneller verbraucht werden als sie nachwachsen können, aber auch, wenn die Politik chronisch zu langsam agiert für dynamische Märkte und Medien. Drittens führt er das Beispiel „psychischer Desynchronisation“ an, im Sinne von „Entfremdungserfahrungen, die ihren treffendsten Ausdruck im Burnout finden“.

Dazu führt er den Unterschied ein zwischen einer Aneignung (sich etwas kaufen) und dem sich etwas „anzuverwandeln“. Dies ist ein schöner Ausdruck, der seine Kraft erst in der weiteren Erklärung entfaltet. Hartmut Rosa spricht davon, wie gewisse Erfahrungen aus mir „einen anderen Menschen“ machen, etwa, wenn ich ein Buch lese, einen Menschen treffe oder eine Reise unternehme. Eine solche Anverwandlung benötigt Zeit, die der herrschende Beschleunigungsdruck oft nicht zulässt, mit der Folge einer Entfremdungs-Erfahrung.

„Entfremdungserfahrungen sind solche, in denen alle Resonanzachsen stumm geworden sind. (…) Entfremdung ist der Zustand, in dem uns die Anverwandlung der Welt nicht mehr gelingt, in dem wir keinen Draht mehr entwickeln können zu Menschen und Dingen.“

Hier taucht der Resonanzbegriff auf, den der Soziologe gegen esoterische Beiklänge abgrenzen möchte. Während Resonanz (so auch der Titel seines jüngsten Buchs) zunächst ein akustisches Phänomen ist, steht es hier weitergehend für den Wunsch, mit Menschen oder Dingen in eine Beziehung zu treten, von der wir noch nicht genau wissen, wie sie aussehen und was sie mit uns machen wird. Er beschreibt es auch als Wechselwirkung, „ohne dass der eine den anderen zu irgend etwas zwingt“.

ResonanzkillerDer Interviewer Michael Aust weist darauf hin, dass damit der klassischen Subjekt-Objekt-Konzeption noch etwas Drittes hinzugefügt werde, als eine Art mitschwingende Membran zwischen beiden. Hartmut Rosa bejaht dies, indem er das „westliche Weltbild, das die Natur als stumm betrachtet“ als „womöglich zu einseitig“ bezeichnet. Er findet die Entsprechung in der Redeweise: „Etwas spricht mich an“, oder „Das sagt mir etwas“.

Abschließend gibt der Interviewte Tipps, wie wir bessere Resonanzbeziehungen aufbauen könnten. Der gesellschaftliche Innovationszwang schränke die Resonanzfähigkeit ein. Wir müssten daher auch „politisch und kollektiv für bessere Resonanzverhältnisse“ kämpfen. Daneben gelte:

„Wir können zum Beispiel versuchen, aus dem Zwang alles und uns selbst zu optimieren, auszubrechen. Stress, Angst, Konkurrenz und Beschleunigung sind vier Resonanzkiller, aber ihre Vermeidung hängt eben nicht nur von uns ab, denn wir interagieren ja in der Welt.“

SOTG_Communicate-RespectfullyUnter diesem Aspekt betrachtet erscheint für mich auch die Praxis des Teamsports Ultimate Frisbee eine gute Resonanzübung zu sein. Wir agieren miteinander ohne übergeordneten Schiedsrichter, um auch und gerade in strittigen Situationen miteinander klar zu kommen. Ein wesentlicher Punkt dabei ist, gewisse Umgangsformen der Gesprächsführung zu beachten, dem anderen etwas zu sagen und sich etwas sagen zu lassen.

Hat ein mutmaßlich Benachteiligter „Foul“ gerufen und der mutmaßlich Foulende streitet dies ab, geht die Scheibe zurück zum letzten unbestrittenen Werfer. Im Idealfall besiegelt ein Handschlag die interaktiv gefundene Entscheidung. Und auch die grundlegende Definition des Fairplays: „Vom anderen her denken“ ist nicht weit entfernt vom Konzept der Resonanz, in Wechselwirkung ohne Zwang miteinander zu leben.

SOTG_Be-Fair-MindedDas Konzept des „Spirit of the Game“ beim Teamsport Ultimate Frisbee betont fünf Hauptpunkte für das eigenverantwortliche Regulieren strittiger Situationen: Regelkenntnis – Respektvolle Kommunikation – Vermeiden von Körperkontakt – Faire Einstellung – Liebe zum Spiel. Bei Interesse an entsprechenden Vorträgen oder Workshops kontaktieren Sie mich bitte.

13. Mai 2016 von JoergBenner
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