Fairplay im Alltag 03-2017 – Kritikfähigkeit

WaageBeim Lösen eines Silbenrätsels bin ich auf ein Goethe-Wort gestoßen, das etwas „aus der Zeit gefallen“ klingt, und mir dennoch aktuell erscheint: „Man tadelt den, der seine Taten wägt.“ Dabei geht es um die grundsätzliche Bereitschaft nachzudenken und Rechenschaft abzulegen.

Gleich zwei Wörter in dem Spruch klingen veraltet: „tadeln“ und „wägen“. Für „Tadeln“ sagt man heute eher „ermahnen“, „rügen“ oder „kritisieren“. Für „Wägen“ ist heute vielleicht noch „Abwägen“ gebräuchlicher, gemeint scheint mir ein Vergleichen und „Aufwiegen“ mit möglichen Konsequenzen alternativer Handlungen. Insofern würde ein entgegen gesetzter Spruch lauten: „Wer nichts tut, macht nichts falsch.“

Wenn ich aber „meine Taten wäge“, so beschäftige ich mich nachträglich mit meinen Handlungen dahingehend, dass ich überlege: „War mein Handeln richtig?“ Ich wäge ab, ob eine andere Handlungsweise vielleicht angemessener gewesen wäre oder zu einem anderen Ausgang der Situation geführt hätte. Aber ich kann es vermutlich nicht mehr ändern, ich kann jedenfalls die Zeit nicht zurückholen. Das heißt, ich stelle mich einer Nachbetrachtung, die wie oben bereits gesagt etwas damit zu tun hat, Rechenschaft über mein Tun abzulegen.

ZeigefingerWarum aber werde ich grundsätzlich getadelt, wenn ich Rechenschaft ablege? Das liegt daran, dass ich sicherlich niemals im Sinne aller anderen und in Übereinstimmung mit allen anderen gehandelt habe. Das Sich Stellen der Vergangenheit eröffnet somit grundsätzlich die Tür zum Widerspruch. Dabei muss es sich gar nicht um ein Verbrechen handeln. Aber es kann sich dennoch um Fehlverhalten handeln, im Auge anderer Betrachter, oder auch in meiner eigenen Retrospektion, also im Nachhinein betrachtet.

Das Gegenteil dazu wäre, sich niemals zur Rechenschaft ziehen zu lassen und einen einmal eingeschlagenen Weg immer weiter zu gehen, uneingedenk möglicher geänderter Umstände oder möglicher Sinneswechsel. „Seine Taten zu wägen“ bedeutet für mich damit die Voraussetzung dafür, kritikfähig zu sein, gute gegen bessere Argumente aufzuwiegen und auch Fehler einzugestehen. Denn jede Handlung bedeutet, zahlreiche andere Optionen verworfen und sich insofern immer auch schon ein Stück weit der Unterlassung „schuldig“ gemacht zu haben.

Goethes Sinnspruch bedeutet: Wir haben es leichter, wenn wir uns jeder Kritik verweigern. Wir würden es uns damit aber zu leicht machen. Denn auch wenn ich weiß: Irgendjemand hat sicher etwas dagegen, was ich wie getan habe; irgendjemand hat sicher etwas daran auszusetzen und wird mich dafür kritisieren, so öffne ich mich doch der Reflexion, dem Nachdenken und einer selbstkritischen Aufarbeitung meiner Taten.

SOTG_Be-Fair-MindedDies entspricht der Praxis im Teamsport Ultimate Frisbee, der mit der Besonderheit vonstatten geht, dass es keine externen Schiedsrichtenden gibt, sondern dass die Spielenden selbst strittige Situationen benennen und bereinigen. Ebenso klar wie es ist, dass jedes Tun auch immer Fehler mit sich bringt, ebenso klar ist auch, dass niemals beide Parteien absolutes Recht haben können in der Bewertung einer Situation.

Genau darum geht es im Teamsport Ultimate auch, dass wir miteinander weiter kommen, und nicht darum, dass externe Schiedsrichtende ermittelten, wer im Recht sei, und wem Recht zugesprochen werden sollte. Das ist ein praxisorientierter Leitfaden zum guten Auskommen miteinander, der allerdings mehrere Voraussetzungen verlangt: Offen und kommunikativ sein, versuchen, eine objektive Haltung einzunehmen und sich an die Regeln des Verfahrens zu halten. Und schließlich auch dazu bereit zu sein, „seine Taten wägen“ zu und sich tadeln zu lassen.

21. Januar 2017 von JoergBenner
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