Netzkultur bewirkt Kommunikationswandel

w&v-LogoNetzwerk-Kommunikation fördert Unmutsäußerungen. Dies ist ein zentrales Ergebnis des Interviews von Anja Janotta auf Werben und Verkaufen online zur Umgangsform in sozialen Netzwerken mit Leonard Reinecke, Medienpsychologe an der Uni Mainz.

Er stimmt der Auffassung zu, dass der Tonfall in Sozialen Netzwerken rauer wird, ohne jedoch Belege dafür liefern zu können. Als mögliche Ursachen gibt er zunehmendes „Flaming“ (aufflammendes, beleidigendes Verhalten) oder eine Selektion der Kommentatoren mit negativem Ausgang an. Ob sich aber eher die Kultur oder die Zusammensetzung der Kommentatoren ändere, darüber traut sich Leonard Reinecke keine Aussage zu, hebt aber auch einen positiven Effekt hervor:

„Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten decken Bedürfnisse ab, die wir früher auch schon hatten. Aber früher konnte man seine Opposition nur mit einem viel größeren Aufwand betreiben. Da musste man schon mit einem Banner vor die Konzernzentrale eines Unternehmens ziehen, um seinen Unmut kundzutun.“

Negative Motive bezeichnet er jedenfalls als die „stärkeren Treiber“ sich zu äußern, dies gelte vor allem bei Themen, die den einzelnen Netzwerker persönlich betreffen, seien es Meinungen zu Grundsatzfragen oder Erfahrungen mit Produkten. Durch die Möglichkeit der Konsumenten in sozialen Netzwerken ihre (vorwiegend schlechten) Meinungen zu posten, erfüllen sie gleich zwei wichtige Funktionen: Sie kanalisieren ihren Unmut und geben den Unternehmen wertvolle Hinweise, in welcher Hinsicht sie sich weiter verbessern sollten.

Zur Motivation in sozialen Netzwerken Kommentare abzugeben, unterscheidet der Medienpsychologe Reinecke:

–         die Hoffnung auf Kompetenzerwerb (Lernwille, so auch bei Medienkritik),

–         die affektive Befriedigung emotionaler Bedürfnisse,

–         „Eskapismus“ (Zeitvertreib, etwa als Übersprungshandlung) und

–         den Wunsch nach Gemeinschaft (Interesse am Diskurs, Kontakt zu Journalisten oder anderen Leuten).

–         Immer aber spielten „die Selbstdarstellung und die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität“ wichtige Rollen. Entsprechend finde ich es gut, sich seiner Position als mündiger Verbraucher bewusst zu werden und diese Macht gezielt auszuüben.

Der „grundsätzliche Unterhaltungswert des Diskutierens“ trete dann aber in den Hintergrund, wenn vor allem bei kontroversen Themen, die auch stärker zu Kommentaren anreizen, eine sogenannte „kognitive Dissonanz“ entsteht. Andere Meinungen sind dann schwerer zu ertragen und regen schneller zu einer heftigeren Reaktion an.

TrollDaneben führt er den sogenannten „Online-Disinhibition-Effect“ an, eine herabgesetzte Hemmschwelle im weitgehend anonymen (oder so wahrgenommenen) Netz, die zu einer kommunikativen Freizügigkeit führt. Diese Enthemmung hat einerseits damit zu tun, dass ich mein Gegenüber nicht sehe und höre und mein Verhalten weitgehend ohne Konsequenzen bleibt, andererseits damit, dass ich meine Beiträge aus sicherer Position heraus kontrollieren kann, ehe ich sie per Eingabetaste abgebe.

Der Beitrag steht übrigens unter dem Begriff der „Troll-Psychologie“ (für das hässliche Gesicht, das die Menschen dabei zeigen), ohne ihn jedoch zu erläutern. Ich halte den Tipp, den ich beim Radiotraining erhielt, für eine geeignete Hilfe, sich nicht im Ton zu vergreifen: Ich stelle mir das Bild einer geliebten Person vor das Mikrofon oder den Bildschirm und stelle mir bei allem was ich sage vor, ich würde gezielt sie ansprechen.

19. Januar 2014 von JoergBenner
Kategorien: Soziales Netzwerken, Verantwortung | Schlagwörter: , , , , , , , , | Schreibe einen Kommentar

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