Ultimate in Betrieben umsetzen

Der angehende Organisations-Psychologe Jan Ziegler belegt in seiner Masterthesis, dass die Konfliktlösung im Sport Ultimate Frisbee das spätere Sozialverhalten der Spielenden im Berufsleben beeinflusst. Auch, wenn dies nur ein erster Einblick in ein weites Forschungsfeld ist, bekräftigt es doch den Nutzen von Ultimate, um dabei auch eine innere Haltung der Fairness zu trainieren, die ein großes Potenzial zur einvernehmlichen Konfliktlösung in Betrieben beherbergt.

Für seine Untersuchung führte Jan Ziegler sechs Interviews mit deutschen Ultimate-Spielenden mit mindestens drei Jahren Spielerfahrung durch. Nach den einzelnen Zusammenfassungen setzt Jan Ziegler die Ergebnisse in Beziehung zueinander. Auch, wenn es sich nur um eine kleine Stichprobe handelt, sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Befragungen doch bereits sehr interessant, in Hinblick auf die Umsetzbarkeit der konsensualen Streitschlichtung aus dem Ultimate in Betrieben.

Interessant ist, dass niemand der Interviewten bei der Beschreibung des Spirits von einer formalen Definition ausgeht (vgl. Einleitung und §§ 1.1 und 1.2 der Ultimate-Regeln). Gewöhnlich werden zum Begriff Fairness Regelbewusstsein und Ehrlichkeit assoziiert. Mit zunehmender Spielerfahrung, vor allem auch auf höherem Niveau, differenzieren sich die Darstellungen des SotG immer stärker aus. Zwei Interviewte, die an internationalen Meisterschaften teilgenommen haben, führen zusätzliche Aspekte auf, u.a. Selbstständigkeit, Respekt, das Eingeständnis von Fehlern, das Anerkennen von Leistungen auf beiden Seiten, die Abwesenheit von Feindseligkeit und das kooperative Umgehen mit Konflikten.

Ein anderer Befragter fügt die Aspekte der Gleichstellung aller Spielenden sowie die Bedeutung einer zielführenden Kommunikation hinzu. Drei der sechs Interviewten bezeichnen den Spirit of the Game als ein besonderes Bewusstsein, welches Ultimate ausmache. Jan Ziegler unterscheidet:

„Der SotG bezieht sich also vor allem auf die innere Haltung (Achtsamkeit, Ehrlichkeit, Akzeptanz eigener Fehler), Fairness hingegen generiert sich aus dem verinnerlichten Spirit und bezieht sich vor allem auf Interaktionen (Ausnahmen und Regelverstöße sinnvoll zulassen, ernsthaftes Zuhören, eigene Ziele nicht über die anderer stellen, in Konflikten nach Objektivität streben).“

Bei der Betrachtung der Vorteile des SotG lassen sich aus den Aussagen der Interviewten drei Leitsätze ermitteln:

  • Selbstständigkeit und Selbstregulierung (somit die Unabhängigkeit von Schiedsrichter/innen),
  • eine überaus angenehme Atmosphäre auf und neben dem Spielfeld (insbesondere im Vergleich zu anderen Sportarten mit Schiedsrichtenden)
  • sowie eine gute Praxis des Konfliktmanagements.

Entsprechend wird das selbstbestimmte Spiel als solches von allen Befragten als enorm positiv bewertet. In den Interviews kommen zahlreiche weitere Themen zur Sprache, die gesondert ausgeführt werden können: So

  • die Anfälligkeit des SotG dafür ausgenutzt zu werden (die Möglichkeit von Turnierdirektorien und von Verbänden Strafen auszusprechen),
  • alternativ die Wirkung sozialer Sanktionen (Abweisung und Ausschluss als unliebsame langfristige Konsequenzen kurzfristiger Vorteilsnahmen),
  • Frustration darüber eine stark abweichende Meinung des Gegenübers respektieren zu müssen, auch wenn ich mich sehr sicher im Recht fühle,
  • das Einhalten der für den Schlichtungsprozess vorgesehenen Zeitfenster.

Außerhalb vom Ultimate gibt es im Berufsleben für die Kompromissfindung üblicherweise weder festgelegte Verfahrensweisen noch Zeitvorgaben. Das kann zu ausschweifenden Diskussionen und damit verbundenen „Schattenkosten“ führen, ohne dabei eine zufriedenstellende Lösung zu finden.

Die Umsetzbarkeit von Ultimate in Betrieben hängt offenbar jedoch stark von Arbeitsbedingungen und Hierarchie ab. Dabei scheinen Betriebsklima und Zufriedenheit stark mit der Form der Hierarchie zu korrelieren: Beides wächst eher bei einer flachen Hierarchie. Bei der Behandlung von lateraler Führung schreibt Jan Ziegler weiter oben (S. 27-29), dass das Ziel selbstständigeren Arbeitens nicht mit der Abschaffung von Hierarchie gleichzusetzen ist.

Um Einfluss auf andere zu nehmen, wird Weisungsbefugnis durch die drei interdependenten Konzepte Macht (informelle kompetente Kommunikation), Vertrauen (das Risiko einer Vorleistung) und Verständigung (Offenheit führt zu Veränderungs-Bereitschaft) ersetzt. Dies geht einher mit einer Zunahme an respektvoller Kommunikation, Befriedigung persönlicher Bedürfnisse und transparenter Abläufe. Allerdings kommt es auch im Fall einer abgeflachten Hierarchie zu Konflikten, die nicht nur an sich nötig sind, sondern auch nötig auszutragen sind.

Um entsprechende „Spielregeln“ dafür festzulegen, eignet sich die Konfliktlösung im Ultimate sehr gut. Allerdings sind die jeweiligen Bedingungen genau zu definieren, wie das Ultimate-Prinzip als ein Instrument unter mehreren für die Konfliktbewältigung im Arbeitsalltag anwendbar ist. Zugleich ersetzt das auch nicht Entscheidungsfindungen, die außerhalb davon stattfinden.

Denn viele Konflikte am Arbeitsplatz kommen in schwelender Form vor und brechen vor allem stressbedingt aus. In einem Interview kommt die Methode regelmäßiger Teammeetings zur Sprache, auch wenn dabei vor allem fachliche Probleme besprochen werden. Große Übereinstimmung herrscht hinsichtlich der Wünsche an den eigenen Betrieb, um Konflikte besser lösen zu können:

  • eine erhöhte Selbstreflexion,
  • die Fähigkeit des Perspektivwechsels,
  • eine häufigere und respektvollere Ansprache von Konflikten, anstatt sie zu ignorieren,
  • sowie gutes Zuhören bei der Kommunikation.

Kritisiert wird auch die oft fehlende Fehlerkultur. Diese untergräbt die Bereitschaft, eigene Fehler und Konflikte einzugestehen oder führt dazu, die Ursachen dafür außerhalb der eigenen Zuständigkeit zu suchen.

Die Werkzeuge des Ultimate-Prinzips zur Konfliktbewältigung basieren (übereinstimmend) auf Gemeinschaft, Fairness und Kooperation. Bei den weiteren Vorteilen setzen die Interviewten verschiedene Schwerpunkte. Entsprechend liegen die Gefahren bei der Umsetzung in Mitarbeitenden, die von vorne herein kaum kompromissbereit und kooperativ sind. Zugleich könnte das friedensorientierte System zu banal wirken, um ernsthaft betrieben zu werden. Auch sei in Unternehmen nicht immer wie im Sport von einer hierarchischen Gleichstellung der Spielenden auszugehen.

Im Punkt „Unternehmenskultur der Fairness“ schreibt Jan Ziegler, dass die Anwendung des SotG in der sportlichen Praxis des Einzelnen vor allem auf der inneren Haltung des Individuums gegenüber den implizierten und geforderten Verhaltensweisen basiere. Entsprechend führe der Weg zu einer Kultur der Fairness über ein Verinnerlichen der zugrunde liegenden sozialen Werte und Ziele, begleitet von einem fortlaufenden Lernprozess:

„Es liegt nahe, dass diese Mechanismen des individuellen Bewusstsein-Erlernens durch die beschriebenen Instrumente auch außerhalb des Sports für den Einzelnen analog funktionieren und wirken können. Im Umkehrschluss dürfte das Ausüben von Ultimate als Sportart das Individuum befähigen, zu einem Träger des Fairness-Prinzips im Betrieb zu werden.“

Als größte Schwierigkeiten bei der Umsetzung hält der Autor fest, dass in den Interviews vor allem die mögliche Ausnutzbarkeit des Vertrauensvorschusses, die Komplexität betrieblicher Strukturen sowie der gegebenenfalls langwierige Prozess zur Vermittlung des Ultimate-Prinzips genannt wurden.

Jan Ziegler: Konfliktmanagement im Beruf am Beispiel der Sportart Ultimate Frisbee – Masterthesis im Lehrgang Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Donau-Universität Krems, Juli 2018, 235 Seiten, hinterlegt auf der Literaturseite des Deutschen Frisbeesport-Verbands.

20. Juli 2018 von JoergBenner
Kategorien: Mitarbeiter-Wissen, Verantwortung | 2 Kommentare

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