Das Risiko des globalen IT-Kollapses
Vor einem Monat habe ich darauf hingewiesen, wie hoch die wirtschaftliche, aber auch die psychologische Abhängigkeit vom Internet ist. Zusätzlich zur damaligen Bitkom-Branchenstudie zur Digitalisierung der Wirtschaft ist nun eine Analyse des Forschers Dirk Helbing von der ETH Zürich erschienen.
Darin kommt der Soziologe zum Schluss, dass die Abhängigkeit von komplexen und instabilen globalen Netzwerken eine große, weltweit bedrohliche Gefahr darstellt. Neben Strom- und Produktionsausfällen könnte ein Netzausfall zu weiteren globalen Finanzkrisen und internationalen Konflikten führen. Wie komplexe Systeme schnell außer Kontrolle geraten können, illustriert er durch Beispiele wie die Ausbreitung von Epidemien infolge des global vernetzten Flugverkehrs oder sich ausbreitende Panik in Menschenmassen etwa mit der Folge des Tottrampelns.
Das Essay “Globally network risks and how to respond” wurde am 02. Mai im Wissenschafts-Magazin Nature veröffentlicht. Als Grund für den möglichen Kollaps globaler Netzwerke gibt er an, dass gerade komplexe Netzwerke sich oft nicht erwartungsgemäß verhielten. In einer Mitteilung der ETH Zürich schreibt er, dass einzelne Ausfälle sich wie zufällig verbreiten und in einer Art Domino-Effekt zu Katastrophen mit „praktisch unermesslichen Schäden“ anschwellen können. Dies berichten fast gleichlautend die Berner Zeitung und der österreichische Standard.
Die Fehleinschätzung von Netzwerken sieht er bereits in ihrem Entwurf und ihrer Organisation bedingt. Indem nötige Sicherheitsvorkehrungen nicht getroffen würden, seien solche Ereignis-Kaskaden schwer zu verstehen, noch schwerer vorherzusagen und fast unmöglich zu stoppen. Als Beispiel nennte er den fehlerhaften Aufbau der Finanzarchitektur, dem so genannte „Vorbruchstellen“ fehlten, das sind Unterbrechungen, die wie elektrische Sicherungen eine Ausbreitung von Problemen verhindern.
Zur dringend nötigen Reorganisation schlägt er eine so genannte Selbstorganisation der Systeme vor. Dazu führt er das Beispiel selbstkontrollierter Ampeln an, die aufgrund von eigenständigen Messungen des Verkehrsflusses die Koordination benachbarter Kreuzungen steuern. Für dieses System hat Dirk Helbing zusammen mit seinem Kollegen Stefan Lämmer den Funktionsnachweis geliefert. Den größten Nachbesserungsbedarf sieht er im heute rund 30 Jahre alten globalen IT-Netzwerk, das er als „größtes menschliches Artefakt aller Zeiten“ bezeichnet.
Für eine völlig neue IT-Architektur auf Basis der Selbstorganisation ruft der Soziologe Helbing zu massiven interdisziplinären Forschungsanstrengungen auf und nennt als gutes Beispiel die FuturICT-Initiative der ETH Zürich. Mithilfe dieser riesigen Analyse-Plattform könnten „Was wäre, wenn“-Szenarios analysiert und die Auswirkungen von Strategien getestet werden.
Interessanterweise hat unabhängig von dieser Studie die Schweizer Nachrichtenseite 20min darüber berichtet, wie die US Navy mit sogenannten „Cyber Warriors“ aufrüstet im Kampf gegen Hacker. Dem jährlichen Bericht zur weltweiten Bedrohungslage des nationalen Geheimdienstdirektors James Clapper vor dem Kongress zufolge sind Cyber-Angriffe die größte Gefahr für die Sicherheit der USA, und sicher nicht nur für sie.