Besinnlichkeit erfordert Mentalität
Neurobiologische Erkenntnisse für die Feiertage zu agilem Projektmanagement
Seit langem bekannt ist die physikalische Widerlegung der gedachten Leistungen des Weihnachtsmannes, wollte er in einer Nacht auch nur alle christlichen Haushalte mit Kindern ansteuern (rund 100 Millionen). Er müsste mehr als 800 Häuser pro Sekunde besuchen, sich mit 3.000-facher Schallgeschwindigkeit bewegen, und das mit einer vorsichtig geschätzten Last von 350.000 Tonnen. Es ist klar, dass auf dieser Basis keine Besinnlichkeit aufkommen kann. Vielmehr müssen wir das „Wunder Weihnachten“ zulassen – wenn wir uns denn darauf einlassen möchten. Voraussetzung für ein erfolgreiches „Herunterfahren“ über die Winterfeiertage ist, den Mensch in den Mittelpunkt zu rücken.
Diese Vorgehensweise deckt sich mit dem Prinzip des agilen Projektmanagements, wie Marco Meisen in seinem Beitrag „Agilität trifft Hirn“ auf computerwoche.de herausstellt. Bereits im Agilen Manifest von 2001 betont der erste Grundsatz:
„Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge“.
Das ist für den Autor eine wesentliche Bedingung dafür, „warum Agilität in der Praxis so erfolgreich ist“. Er belegt die These, dass Eigenverantwortung und Selbstorganisation zu stärkerer Motivation und zu erfolgreichen Produkten führen, durch Erkenntnisse aus der Neurobiologie.
Auf beide menschliche Lernsysteme setzen
Das Ausbalancieren dynamischer Zustände durch ein Projektteam entspricht demzufolge der Balance zwischen den beiden menschlichen Lernsystemen. Marco Meisen stellt dies wie ein Fußballfeld dar: „Es gibt die Begeisterungshälfte, die Stresshälfte und als vermittelnde Instanz zwischen ihnen den Präfrontalen Cortex.“ Wie beim einzelnen Menschen müssten sich diese Kräfte auch im Team möglichst im Gleichgewicht befinden.
Der Stressbereich des Lernsystems schützt uns durch Gelerntes vor Gefahren (zum Beispiel im Straßenverkehr oder beim Präsentieren). Entsprechende Lerninhalte werden über die Amygdala, einen Teil des limbischen Systems im Hirn, abgespeichert und auch von dort wieder abgerufen. Dieser Bereich hilft dabei, Abweichungen und Fehler zu finden, er dient der Umsetzung. Der Begeisterungsbereich hingegen funktioniert über das Belohnungssystem. Dopamin führt zur Ausschüttung körpereigener Opiate und begünstigt eine verstärkte Vernetzung im Gehirn und damit Kreativität.
Bezogen auf den Erfolg agiler Teams heißt das: Für die Entfaltung und Selbstbestimmung der Mitarbeiter ist ein kreativer Rahmen weit hilfreicher als irgendwelche mit Druck verbundenen Management-Anforderungen. Dies zeige sich vor allem zu Beginn einer agilen Transition, ansonsten würde „der kreative Impuls durch kleingeistigen Stress erstickt“. Dies beginnt bereits mit der bloßen Anwesenheit des Chefs: Der Cortisolspiegel steigt – übrigens auch bei Affen, wenn ein Alphatier den Raum betritt.
Vertrauen ist wichtiger als Kontrolle
Natürlich soll sich deswegen der Chef nicht konsequent aus allem heraushalten. Jedoch sollte er von einer ständigen Kontrolle absehen und auf die „Lernkurve“ des Teams vertrauen. Diese Einsicht verknüpft der Autor mit einer weiteren Erkenntnis, wonach „kognitiv arbeitende Menschen extrem intrinsisch motiviert sind“. Diese intrinsische Motivation beflügelt auch die Teamarbeit, sofern ein lohnenswertes Ziel verfolgt wird und wenigstens eine 50 Prozent-Chance besteht es zu erreichen. Diese individuelle Zielsetzung schüttet Dopamin aus und treibt das Begeisterungslernsystem an.
Zuletzt betont Marco Meisen, dass auch die Praxis sich einen eigenen, frei gestaltbaren Teamraum zu schaffen neurobiologische Bestätigung findet:
„Denn unser Umfeld formt unsere Gedanken.“ Entsprechend präge auch gemeinsamer kreative Raum das darin entwickelte Verhalten: „Den Mitgliedern fällt es in der gemeinsamen Umgebung leichter, zusammenzuwachsen und kreativ am gleichen Ziel zu arbeiten.“
Die neurobiologische Sicht der Dinge betont, dass Agilität kreativen Freiraum und das volle Vertrauen der Vorgesetzten in ihre Mitarbeiter benötigt. Dann funktioniert der Ansatz – und vielleicht deshalb besonders gut, weil er „pragmatisch die unveränderliche Natur des Menschen anerkennt und sich zunutze macht“. Diese äußert sich auch im Bedürfnis nach Ruhephasen, wie die bevorstehenden mit dem Jahreswechsel verbundenen Feiertage. Insofern lässt sich zusammenfassend festhalten: Ebenso, wie Skeptiker den Erfolg des agilen Ansatzes nicht kaputt reden können, sollten wir uns auch den Glauben an den Weihnachtsmann (oder Ähnliches) nicht nehmen lassen.