Nicht alle Entscheidungen brechen Regeln

Wrong-turn_Lars-VollmerDer Unternehmer und Berater Lars Vollmer hat auf huffingtonpost.de einen interessanten Beitrag gepostet, um sein gleichnamiges Buch zu promoten: „Wrong Turn: Warum Führungskräfte in komplexen Situationen versagen“. Sein Credo: Regeln betonieren Wenn-dann-Beziehungen und lassen wenig bis gar keinen Spielraum für echte Entscheidungen.

Er macht seinen Standpunkt an einem Beispiel aus der Fußball-Bundesliga im Jahr 2012 deutlich. Nach einem Traumtor zum 2:2-Ausgleich von Werder Bremen zu Gast bei Hannover 96 reißt sich der Spieler das Trikot vom Leib und klettert auf den Zaun zum Fanblock. Obwohl keine Unsportlichkeit erfolgte, zeigte der Schiedsrichter für beide Aktionen zweimal Gelb gleich Gelb-Rot. Der Schiri berief sich anschließend auf die korrekte Auslegung der Regeln und wird zitiert „Mir blieb gar nichts anderes übrig, als das durchzuziehen“.

Die daraus folgende Argumentation von Lars Vollmer lautet: Regeln betonieren Wenn-dann-Beziehungen. Das Wenn-dann-Prinzip kennt nur den Weg der geradlinigen Exekution. Wer sich als Manager nach entsprechenden Organisationshandbüchern richtet, entscheidet nicht selber und wird damit nur zum Vollstrecker von Regelwerken. Zugegeben: Entscheidungen benötigen die Auswahl zwischen wenigstens zwei Alternativen.

Natürlich ist die Frage wichtig, ob und warum wir uns einem Regelmodell beugen. Mit dieser Frage werden Soldaten konfrontiert, die am Sinn eines Befehls zweifeln. Damit werden Sportler konfrontiert, die an der „Tatsachenentscheidung“ eines Schiris zweifeln und sie (vor allem im Fußball) versuchen durch Schauspielern oder Betteln zu beeinflussen. Damit werden auch Manager konfrontiert, vor allem, wenn sie bereits abweichende Erfahrungen gegenüber dem im Organisationshandbuch vorgesehenen Ablauf gemacht haben.

Jedoch ist es im Fall des Managers nicht so, dass er vorgegebene Regeln ausnahmslos glauben und annehmen muss. Das heißt, die Entscheidungskompetenz ruht in meiner Sicht dennoch ganz bei ihm. Sofern er in der jeweiligen Situation mit einem bewährten Modell meint, zutreffend entscheiden zu Rulebreakerkönnen, soll er es durchaus so tun. Sieht er sich aber an die Grenze der Anwendbarkeit gebracht, soll er die Regeln brechen. Ich denke, es ist ein Allgemeinplatz, dass die kreativsten Köpfe und die größten Erneuerer besonders gut darin waren, Regeln zu brechen, bzw. mit Gewohnheiten zu brechen. – Gibt es eigentlich eine Regel dafür, wann mit Regeln zu brechen ist? –

Lars Vollmer weiß, was er seinen Lesern schuldig ist: Er spricht von einer „Armada solcher Entscheidungsvernichtungsinstrumente“: Prozesse, Pläne, Checklisten, Richtlinien, Verordnungen und so weiter. Er vergleicht das zugrunde liegende Denken mit Kugelbahnen und ihrer Akustik „Klick-klack“: Oben kommt die Kugel rein, unten kommt sie wieder raus. Diese Automatismen nennt er daher „laute Modelle“. Regel ist Regel, Plan ist Plan. Und das dauernde „Klick-klack“ führt für ihn zum Crash. Brauchbar erscheinen ihm dagegen Modelle für komplexe Situationen, die niemanden davon entbinden, selber zu denken. So genannte „stumme Modelle“ dürften keine Regeln aufstellen und nur als Werkzeug dienen, das beim Denken hilft. Dies vermeide „blinden Glauben“ und stärke Verantwortung und Bereitschaft zu Weiterbildung.

Der Vollständigkeit halber möchte ich diesen interessanten Aspekten denjenigen des Teamsports Ultimate Frisbee hinzufügen, der ohne externen Schiedsrichter funktioniert. Das entscheidende Merkmal der Regelanwendung ist hier wie zwei Beteiligte mit unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich einer strittigen Situation miteinander umgehen. Beide verständigen sich in Kürze darüber und beziehen sich dabei auf dieselben Regeln. Dieses Beispiel betrifft eher den Umgang im Management miteinander sowie die Frage, wie ich die Interpretation einer Situation gegenüber anderen kommuniziere.

Die übergeordnete Regel aber besagt, dass beide zusammen in Kürze eine Wiederaufnahme des Spiels ermöglichen sollen. Sind sie sich einig, geht es an Ort und Stelle weiter – können sie sich nicht einigen, geht die Frisbeescheibe zurück zum vorigen Werfer. Das Regelwerk finde ich in diesem Rahmen durchaus sinnvoll und angemessen, es wird aber auch regelmäßig diskutiert und erneuert. Wichtiger noch erscheint mir die zusätzlich interessante Frage, ob ich als Manager eine Situation klar erfasse, oder ob der Blick auf das Geschehen durch meine persönliche Interessenlage getrübt wird.

24. Februar 2014 von JoergBenner
Kategorien: Mitarbeiter-Wissen, Verantwortung | Schlagwörter: , , , , , , , , , | Schreibe einen Kommentar

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