Der Verweis ersetzt das Denken nicht

sueddeutsche.de-LogoEnde Dezember 2012 hat Bernd Groff in der Süddeutschen Zeitung über die Folgen des zunehmenden Social Networking geschrieben: Real Erlebtes wird sogleich im virtuellen Raum unter Gleichgesinnten geteilt. Der Autor stellt einen durch „Computervermittelte Kommunikation“ (CVK) bedingten Wandel der Sprache und des Umgangs miteinander fest.

„Die neuen Medien“, schreibt Bernd Groff, „suggerieren den Kick des Außergewöhnlichen, des Besonderen, der Bestätigung eigener Ansichten und eigener Bedeutung als Lebensnormalität.“ Ich würde jedoch sagen, sie suggerieren eher, dass sie wichtiger seien als die greifbare Umwelt; die Bestätigung eigener Ansichten und die eigene Bedeutung innerhalb der so genannten Peer Group sind jedoch durchaus real.

Dass die Kommunikation im Netz anfällig für Missverständnisse ist, unterscheidet sie nicht von der Kommunikation in Briefen (auch hier gilt es „den Verlust aller nonverbalen Aspekte“ zu kompensieren), oder am Telefon, am Arbeitsplatz oder bei Kerzenlicht. Sprechen ist immer missverständlich, alleine weil Sender und Empfänger nicht auf derselben Wellenlänge liegen müssen.

Die von ihm festgestellten Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit bestehen jedoch ganz ohne Zweifel. Das weiß jeder, der mit einem Freund ausgeht und ihn regelmäßig beim Blick auf das Smart Phone ertappt (wie auch umgekehrt). Erstaunlich genug, dass wir dem Gerät das Attribut „smart“ verliehen haben. In der in Sozialen Netzwerken geschriebenen Sprache bemerkt der Autor Aspekte von Theater: Emoticons, Laut- und Aktionswörter (ähnlich wie im Comic) verliehen den Sätzen Kostüme; dies solle umgekehrt kaschieren, dass die Sprache selbst flacher würde.

Das begründet er damit, dass ein Großteil der Postings auf Twitter und Facebook Verweise und Zitate sind. Die Hinweise unter Gleichgesinnten stellen ein Ringen um Aufmerksamkeit dar, Bernd Groff schlussfolgert: „Verweisen ist einfacher, als selbst kluge Gedanken zu entwickeln.“ Er zitiert (und verlinkt) auf den niederländischen Netzkritiker Geert Loovink. Ihm zufolge schauen die Menschen „in einen neuen technischen Spiegel, der ihnen Auskunft darüber gibt, in welchem Maß sie lebendig sind.“

Mark-PagelZuletzt kommt er mit dem Evolutionsbiologen Mark Pagel von der University of Reading (Foto) auf die Formel „Kopieren ist einfacher als erfinden“. Die Selbstsucht im Netz habe dazu geführt, dass erstmals in der Menschheitsgeschichte gelehrige Kopisten erfolgreicher sein könnten als Innovatoren. Bedenkenswert, wenn nicht bedenklich. Mir greift diese Kritik allerdings ein wenig zu kurz. Aus meiner Erfahrung heraus sind aus dem Zusammenhang gerissene Zitate vielleicht belustigend, aber nicht befriedigend. Auch dienen mir Fundstellen zu meinen Themengebieten nicht dazu, sie wahllos herumzuzeigen, sondern meist zur Bereicherung einer Argumentation.

Die Veränderung der Sprache ist ein fortwährender Prozess, an dem es nichts zu kritisieren gibt (ebenso wenig wie an den neuen digitalen Möglichkeiten): Es liegt an uns, was wir daraus machen. Ich denke, dass die Kommunikationstechnik eine große Bereicherung darstellt und dass e-Mails und Instant Messaging genauso wenig Briefe verdrängen werden wie e-Books dies bei Büchern tun. Doch zweifellos stellt uns die Allverfügbarkeit von mehr oder weniger nutzlosem Wissen vor die herausfordernde Aufgabe, unsere Aufmerksamkeit wohl überlegt zu verteilen – ohne dabei den Aspekt direkter Kommunikation von Mensch zu Mensch zu vernachlässigen.

04. Januar 2013 von JoergBenner
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