Soziale Netzwerke machen gefühlsblind
Wie wir nach Paul Watzlawick wissen, können wir „nicht nicht kommunizieren“. Außer mit meinen verbalen Äußerungen spreche ich auch durch meinen Körper mit meinem Gegenüber, durch die Haltung, die Gestik und Mimik. Nach Meinung des Körpersprachen-Experten Stefan Verra drohen Jugendliche infolge übertriebenen Chattens und sozialen Netzwerkens ihre Körpersprache zu verlernen.
Diese Befürchtung äußert er im Beitrag im Schweiz-Magazin online. In diesem Sinne habe die digitale Welt in den vergangenen Jahren die zwischenmenschliche Kommunikation weniger bereichert, als eher gefährdet. Mimik, Gestik, Stimme und Körpersprache könne man verlernen, schlimmstenfalls „sogar, Nähe zu anderen Menschen aufzubauen“, wird der Experte Verra zitiert. Nachweislich haben Facebook-Nutzer mit vielen Kontakten jedoch auch im realen Leben viele Freunde, sodass das Gleichgewicht ihrer sozialen Interaktion meist nicht in Gefahr ist.
Doch Stefan Verra behauptet weiter: „Untersuchungen belegen tatsächlich, dass viele Kinder heute schon nicht mehr so gut imstande sind, mimische Signale zu entschlüsseln, also etwa an der Mimik Ärger, Erstaunen oder Freude zu erkennen.“ Körpersprachliche Signale zu entschlüsseln gelingt grundsätzlich umso besser, je öfter wir mit ihnen in unserer Umwelt zu tun haben. Durch übertrieben einseitige Nutzung digitaler Freundschaften verlernen wir aber, die Regungen in den Gesichtern anderer Menschen zu verstehen. Damit rückt das Symptom in die Nähe der „Alexithymie“ genannten Gefühlsblindheit oder auch des Asperger-Syndroms. Daran Erkrankten fehlt die intuitive Fähigkeit, nonverbale Kommunikation richtig zu interpretieren.
Wie immer komme es auch bei der Nutzung sozialen Netzwerken auf die richtige „Dosis“ an, heißt es weiter. Die annähernd banale These, dass der leibhaftige Umgang miteinander unverzichtbar ist, belegt Stefan Verra unter anderem durch die von Hirnforscher Giacomo Rizzolati entdeckten so genannten Spiegelneuronen im Hirn. Ihre Erforschung gilt als wichtiger Baustein zur Beantwortung der Fragen, warum der Mensch empfindungsfähig ist, sich sozial verhält und wie die menschliche Moral entstanden ist. Seinen Erkenntnissen zufolge ist vor allem in der Jugend das Reagieren auf andere und das Nachahmen anderer entscheidend für das Wachstum des Gehirns.