Fairplay im Alltag 03-2016 – Der Standpunkt des anderen
In einem wie immer sehr allgemein gehaltenen Tageshoroskop habe ich ein Zitat gelesen, das dem frühkapitalistischen Erfinder und Unternehmer Henry Ford zugeschrieben wird. „Das Geheimnis des Erfolges ist, den Standpunkt des anderen zu verstehen.“ (Bildquelle: henry-ford.net) Zustimmung und Widerspruch!
Der Widerspruch gilt dem Zitat in dem Sinne, wie es vermutlich vorrangig gemeint war. Henry Ford ist mir seit der Kindheit aus der weiterführenden Schule bekannt, aus einem Kapitel im Englischbuch, das die Erfindung des Fließbands und die Herstellung des berühmten T-Modells betraf. Für Henry Ford dürfte Erfolg vor allem kommerziellen Erfolg bedeutet haben und „der Standpunkt des anderen“ vor allem auf wirtschaftliche Vertragspartner gemünzt sein.
Das würde meiner Interpretation zufolge bedeuten, er versucht mit der Aussage auszuloten, wo die Schmerzgrenze bei finanziellen Verhandlungen liegt, bzw. versucht er seine Menschenkenntnis für seinen Vorteil zu nutzen und insofern zu instrumentalisieren. Ich widerspreche aber dem Einsatz von Einfühlungsvermögen zum Zwecke der Selbstbereicherung!
Ich möchte aber auch berechtigte Einwände gelten lassen, wonach Henry Ford nicht nur Kapitalist und Prozessoptimierer war. Von ihm stammt auch das Zitat:
„Ein Geschäft, das nur Geld einbringt, ist ein schlechtes Geschäft.“
In anderer Lesart lässt sich die Aussage insofern auch losgelöst von wirtschaftlichen Interessen verstehen, indem ich „Erfolg“ betrachte als ein erfolgreiches Zusammenleben. Sich erfolgreich durchs Leben zu schlagen könnte in etwa gleichgesetzt werden damit, sich mit anderen zu arrangieren, mit anderen auszukommen, vielleicht sogar gemeinschaftlich mehr zu erreichen als ich alleine könnte.
In diesem Sinne dient der Standpunkt des anderen einfach dazu nachzuvollziehen, was ein anderer beabsichtigt zu tun oder zu erreichen. Wenn wir uns beide offen darüber austauschen, kann ein von Vertrauen und Glaubwürdigkeit geprägtes Zusammenleben entstehen, das ich ganz ohne Hintergedanken führen möchte.
Diese Forderung kommt einer der fünf Grundsäulen des Fairplay-Konzepts im Teamsport Ultimate Frisbee sehr nahe, wonach eine faire Einstellung erwünscht ist. Dazu zitiere ich sehr gerne das Wort, das der UNESCO Fairplay-Kommission zugeschrieben wird:
„Fair verhält sich derjenige Sportler, der vom anderen her denkt.“
Vom anderen her zu denken, stellt für mich eine zentrale Grundlage eines Zusammenlebens auf Augenhöhe dar. Ich verstehe, was die oder der andere möchte und erkläre mich selbst ebenfalls, sodass beide wissen, wo sie dran sind und auf dieser Basis ein gemeinsames Vorankommen ermöglichen.
Im Teamsport Ultimate Frisbee regulieren die Spielerinnen und Spieler strittige Situationen selbst, auf der Grundlage des „Spirit of the Game“, der neben der sportlichen Kompetenz folgende fünf Grundlagen von den Ausübenden fordert: Kenne die Regeln, Kommuniziere respektvoll, Vermeide Körperkontakt (im Sinne von sei dir der Anwesenheit anderer bewusst und verhalte dich entsprechend), Sei fair eingestellt, wie oben besprochen als ein „Denke vom anderen her“ und Liebe das Spiel, das heißt: Freue dich am Miteinander!