Den Appell-Aspekt regulieren

Bei meinen Workshops und Seminaren zu Flying Disc Empowerment dreht es sich des Öfteren um respektvolle Kommunikation. In diesem Zusammenhang werden verschiedene Ungleichgewichte in Sprechsituationen erklärt, auf Basis von Paul Watzlawick (Perspektivwechsel), Friedemann Schulz von Thun (Vier-Ohren-Modell) und Marschall B. Rosenberg (gewaltfreie Kommunikation, hier vor allem Ich-Botschaften). In einem Interview auf de.sputniknews.com weist Valentin Raskatov darauf hin, welche Auswirkungen das Bedienen von Sprachassistenten auf kommunikative Umgangsformen haben kann.

Der Autor befragt die Sprachtrainerin Tatjana Lackner. Darin geht es ihm nicht vorrangig um die ungewollte Transparenz, die Nutzer*innen von Sprachassistenten gegenüber den dahinter liegenden Datenkraken herstellen. Der Punkt betrifft. Die Befragte berichtet davon, wie sie ihrem Mann in der Küche den Namen eines Hotels buchstabierte. Da in der Küche ein Sprachassistent installiert ist, führte es dazu, dass sie zurück im Arbeitszimmer auf ihrem Rechner im Browser bereits ein Banner des Hotels eingeblendet sah.

Alexa statt Mama und Befehle statt Höflichkeit

Das eigentliche Thema des Interviews sind jedoch die Auswirkungen, die das häufige Anweisen von Sprachassistenten auf das Selbstverständnis unserer Sprechakte hat. Die entsprechende Zwischenüberschrift habe ich eins zu eins aus dem zitierten Beitrag übernommen, weil sie genau zutreffend erscheint. Der Beitrag selbst heißt „Wenn das erste Wort Alexa“ ist. Nach der Generation der digital Natives kömnte die kommende Generation diejenige der „digital vitreous“ sein, der gläsernen Digitalen, die sich aus freien Stücken, weil es wunderbar und bequem ist, mit ihren Interessen für die unternehmerischen Datensammel-Stationen durchsichtig machen.

Dabei wird auch die Sprache durchsichtiger und eindimensionaler. Im Sinne des Vier-Ohren-Modells nach Friedemann Schulz von Thun steht bei der häufigen Bedienung von Sprachassistenten der Appell-Aspekt deutlich im Vordergrund. Natürlich geht es auch dabei um einen Sachaspekt. Nutzer*innen sind jedoch gewohnt, dass der digitale Assistent die gewünschte Forderung erfüllt. Es herrscht ein Befehlston, respektive besteht die Gefahr, dass sich dieser bei andauernder Nutzung immer mehr auch in der sonstigen Sprechweise einstellt. Tatjana Lackner wird zitert:

„Die Sprachassistenten funktionieren nur dann, wenn man sehr direktiv spricht, also in der Befehlsform. (…) Es geht darum, dass wir zu unterscheiden lernen, was die Anforderungen in der digitalen Welt sind und wodurch wir Menschen uns davon unterscheiden, wenn wir etwa im Bus einer alten Dame unseren Platz anbieten, ohne dass sie uns dazu auffordern muss.“

Hang zur Bequemlichkeit wischt Risiken beiseite

Dabei hebt sie, als Gründerin der Schule des Sprechens in Wien, auf die Kultiviertheit „semantischer Wohlgeformtheit“ ab. Das meint die Kunst seine Aussagen, seien es Bitten, Ratschläge, Hinweise oder Fragen, in angenehme und höfliche Sätze zu bringen, die das Gegenüber „ansprechen“ im Sinne von Resonanz, mit deren Hilfe es gelingt ein Einverständnis auf mentaler und auf emotionaler Ebene zu erzielen. Nochmals Tatjana Lackner:

„Diese Kultiviertheit unterscheidet uns von digitalen Sprachassistenten. Alexa sagt mir auch, wie spät es ist, wenn ich nicht ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ sage. Im Gegenteil: ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ irritiert sie, ‚Alexa‘ ist das Zauberwort.“

Tatjana Lackner nennt die Babies, die ihre ersten Worte von Alexa lernen, übrigens „iGen“. Es ist eine traurige Vorstellung einer Welt von Menschen, die das Sprechen von Sprachassistenten lernen, die über verschiedene Aspekte des Sprechens gar nicht verfügen. Denn für Alexa gibt es keine Beziehungsebene in unserer Kommunikation, diese ist rein eindimensional zweckgerichtet. Es besteht auch kein Aspekt der Selbstoffenbarung auf Seiten des Sprachassistenten. Seine Funktion ist klar: Er sammelt Daten, um Nutzungsprofile der Konsumenten zu erstellen, unter dem Vorwand uns das Leben zu erleichtern.

Bei uns Nutzer*innen, die solche Assistenten nutzen, ist jedoch auf der Ebene der Selbstoffenbarung festzustellen: Hier überwiegt offenbar der Hang zur Bequemlichkeit, der Risiken der Nutzung leichtfertig beiseite schiebt, mit derselben Einstellung, mit der wir bei der Installation neuer Software den Lizenzverträgen leichtfertig zustimmen, ohne sie einmal durchgelesen zu haben. Da müssen wir uns (ich schließe mich ein) über unsere Verhaltensweisen besser bewusst werden und diese stärker hinterfragen. Es gilt also: Den Kopf einschalten!

Zugleich gilt aber auch: Das Herz einschalten! Wir sollten uns weiterhin einer „atmosphärischen“ Kommunikation bedienen, die Verständnis, Mitfühlen und sogar Anteilnahme vermittelt. Wenn wir uns im pseudomilitärischen Duktus immer stärker auf eine Überbetonung des Appell-Aspektes hin bewegen, berauben wir uns meiner Meinung nach einer wesentlichen Säule unserer Zwischenmenschlichkeit. Selbstoffenbarung: Ja, ich rasple auch gerne Süßholz.

15. November 2018 von JoergBenner
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