Inneres Team – innere Spätmelder

Tagesanzeiger-LogoDer berühmte Psychologe und Kommunikationstrainer Friedemann Schulz von Thun hat anlässlich eines Vortrags in der Schweiz dem Züricher Tagesanzeiger ein interessantes Interview gegeben. Von ihm stammt das aus der Schule bekannte Modell der vier Ohren für vier Ebenen von Aussagen. Er beschäftigt sich über sein Institut für Kommunkation auch mit Psychoanalyse für Manager und dem sogenannten „inneren Team“.

Die meisten Fragen der beiden Interviewer Bernhard Ott und Mathias Morgenthaler beschäftigen sich mit der persönlichen und beruflichen Entwicklung des Autors und Vortragenden. Sein Interesse an der Kommunikation wurde bereits in der Kindheit geweckt. Er spricht von sich als „ausgeprägten Spätentwickler“, wobei er nicht über seine Gefühle sprechen konnte. Er betrachtet seine damaligen Defizite nicht als krankhaft, konstatiert aber eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten, vor allem auch mit seinem Vater, den er sehr distanziert erlebte.

Als er in der Schule abbaute, war das Schach seine Rettung und seine „Notbrücke zurück in die Gemeinschaft“, wie er angibt. Dabei konnte er als passabler Turnierspieler während seiner Studentenzeit an der Hamburger Volkshochschule den ersten Schachkurs geben. Durch dieses neu gewonnene Selbstvertrauen gab er bald darauf einen weiteren Kurs über die Psychologie. Von 1975 bis 2009 wirkte er als Professor für Psychologie an der Universität Hamburg. 1981 erschien der erste Band von kommunikation02«Miteinander reden», der sich 1,2 Mio. Mal verkaufte und durch das Modell der «vier Ohren» zum Schulstoff wurde, wonach Äußerungen immer auf vier Ebenen getätigt und aufgenommen werden: der Sachebene, der Appellebene, der Selbstoffenbarungsebene und der Beziehungsebene.

Der inzwischen 70-jährige Friedemann Schulz von Thun spricht sehr offen und nicht ohne eine gewisse Ironie über seinen eigenen Werdegang: „Es gilt ja auch für die Wissenschaft die Regel: «Sage mir, worüber du Bücher schreibst, und ich sage dir, womit du dich schwer tust im Leben.»“ Auch glaubt er nicht, mit seinen Büchern irgendjemanden therapieren zu können:

„Meine Bücher können eine Aufgeschlossenheit für das Thema erzeugen und eine Orientierungshilfe sein, aber ohne Selbsterfahrung und Training eignet man sich keine Sozialkompetenz an.“

Schulz-von-ThunWenn er sich heute mit Psychoanalyse für Manager beschäftigt, weiß er von vorne herein um die männlich geprägten Machtverhältnisse an den meisten Unternehmensspitzen: „Ganz oben herrscht ein Wettkampf vor, in dem Durchsetzungsstärke mehr zählt als Empathie. (…) Selbstbehauptung und Verständnis haben sind verschiedene Dinge, die nicht leicht unter einen Hut zu bringen sind.“ Weiter schickt er voraus, dass seiner Lernerfahrung zufolge die Kommunikationsfähigkeit sich mit der „Reifung des inneren Menschen“ verbessert.

Damit kommt er zu mehreren Begriffen, die mit dem „Inneren“ des Menschen zusammenhängen. Er fordrt Manager heute nicht mehr auf, „in sich selbst hinein zu horchen“,, sondern spricht vom „inneren Team“, womit eine Führungskraft eher etwas anfangen könne. Die Regeln der Leitung eines „inneren Teams“ ähnelten sogar denjenigen der Leitung von Teams im Betrieb. Er verdeutlicht dies am Beispiel des Mitarbeiters oder der inneren Stimme, die sich übergangen fühlt: Beide würden sich eines schönen Tages rächen. Zudem betont er die Wichtigkeit, Mitarbeiter (sowie analog Aspekte des inneren Selbst) zu würdigen:

„Eine Führungskraft, die stark mit sich selber und der Behauptung ihrer Position beschäftigt ist, hat kaum mehr die nötige psychische Energie für die Würdigung der Leistung der Mitarbeitenden.“

Schulz-von-Thun-InstitutEr selbst sei ein „Spätwürdiger“ und habe erst mit vierzig Jahren die Leistung seines Vaters anerkennen können. Diese Aussage passt insgesamt zum Interview, das sich über weite Strecken um seine persönlichen Erfahrungen in der Kommunikation dreht: In der Schule hatte der Befragte ein einziges Mal einen Lehrer als Coach erlebt. Er fasst sich an die eigene Nase, wenn er sich dabei ertappt, dass er seiner Frau Vorwürfe macht, und ermahnt sich stattdessen ihr seine Gefühle und Wünsche zu verdeutlichen. Jedoch herrsche in der Kommunikation…

„das Gesetz der vertikalen Gegenläufigkeit: Je größer die persönliche Betroffenheit, umso mehr sackt die Kommunikationsfähigkeit ab.“ Später konkretisiert er: „Im Moment der Betroffenheit geht das Spezialistentum den Bach runter. Dann kann es heftig oder auch mal primitiv werden. Aber (… erst) sobald die unmittelbare Betroffenheit abgeklungen ist, kann man sich wieder neu begegnen und vernünftig sprechen.“

Wie bei persönlichen Streitsituationen spielt auch im Schriftwechsel der Faktor Zeit eine wichtige Rolle: Zwar sei die schnelle Vernetzung der Sozialen Medien attraktiv, doch könne man im Briefverkehr den Inhalt besser auf sich wirken lassen, wobei vielleicht erst nach zwei Tagen „sogenannte innere Spätmelder“ auftauchen: verzögerte Reaktionen, die beim ersten Lesen noch nicht bewusst geworden sind. Dies ermögliche eine Vertiefung der Kommunikation, wie sie mit Social Media nur selten geschehe.

20. Januar 2015 von JoergBenner
Kategorien: Mitarbeiter-Wissen, Verantwortung | Schlagwörter: , , , , , , , , | Schreibe einen Kommentar

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