Vom Schlamassel zur Transformation
Im Rahmen der Beschäftigung mit agiler Unternehmens-steuerung bin ich auf einen aktuellen Vortrag des Beraters und Autors Niels Pflaeging gestoßen, der die „organisationale Transformation“ bemüht und sich dabei strikt gegen das tayloristische Prinzip von „Weisung und Kontrolle“ wendet. „Organisation für Komplexität“ heißt sein neues Werk, in dem er mit überholten Denkmustern aufräumt.
Frederick Winslow Taylor, der als Begründer der Arbeitswissenschaft gilt, hat Ende des 19. Jahrhunderts in den USA erstmals Rationalisierungen vorgenommen und vertrat mit seinem Taylorismus kurz gesagt die Auffasssung, dass sich durch eine Verbesserung jedes einzelnen Prozessabschnitts und jedes einzelnen Funktionsträgers ein Unternehmen optimieren ließe. Niels Pflaeging schätzt diesen Ansatz sehr, der zur damaligen Zeit nicht nur hoch intelligent, sondern sogar zukunftsweisend war.
Heute allerdings dominiert nicht die Kompliziertheit, sondern die Komplexität der Marktbedingungen. Der Unterschied ist der, dass ein kompliziertes Verfahren durch dauernde Verbesserungen und die permanente Beschäftigung damit vereinfacht werden und letzten Ende sogar trivial erscheinen kann. Ein komplexes System wird aber, auch wenn wir die Materie immer besser durchdringen, nicht weniger komplex. Mehr noch: Durch die Verbesserung der Mitarbeiter und einzelner Punkte verbessert sich das komplexe System noch nicht. Erst die Verbesserung der Interaktion zwischen den Mitarbeitern kann es verbessern.
Für komplizierte Systeme sind Instrumente hilfreich, erklärt Niels Pflaeging, wie dies im Industriezeitalter mit der erstmaligen Massenfertigung für Massenmärkte erfolgreich demonstriert wurde. Auf die Herausforderungen komplexer Systeme kann man jedoch nur mit frischen Ideen reagieren. Dies wäre um so wichtiger, weil die meisten heutigen Unternehmen in ihrem Selbstbild immer noch im tayloristischen Prinzip verharren. Zur Verdeutlichung nutzt er den Begriff „Schlamassel“ und das Bild der Seerosen, bei denen eine Pflanze sehr viele Blätter auf der Wasseroberfläche bilden kann. Die sichtbaren Blätter entsprechen in diesem Bild nur den vielen Problemen, die in heutigen Unternehmen auftauchen, ohne jedoch ihrer Ursache (der gemeinsamen Wurzel) auf den Grund zu gehen.
Anstatt Unternehmen (im so genannten Alpha-Modell) nach hierarchischen Strukturen in oben und unten mit Machthabern und Untergebenen aufzuteilen, ist es (entsprechend im Beta-Modell) als Teil eines Marktes eher in die Bereiche außen und innen aufzuteilen. Die Sinnbilder für die Modelle sind einerseits die Pyramide (das alte Alpha-Modell) und andererseits der Kreis (das neuere Beta-Modell). Der Innenbereich dieses Kreises unterscheidet sich nochmals in die Bereiche des Zentrums und der Peripherie.
Die eigentliche Macht in diesem System hat der Markt. Wenn das Unternehmen sich diesem gegenüber abschließt, stirbt es ab (daher sind offene Systeme gefordert). Noch eine Überraschung: Die Macht im Unternehmen selbst muss an der Peripherie liegen, da diese im direkten Kontakt mit dem sie umgebenden Markt ist. Auch die Begrifflichkeiten ändern sich: Wo wir früher von Abteilungen sprachen, sind heute Teams oder Zellen im Unternehmen aktiv, miteinander, füreinander, auch teamübergreifend. Arbeiteten Unternehmen zur Motivation ihrer Mitarbeiter bisher vor allem mit Anreizmodellen, so gehen sie inzwischen eher zu Teilhabemodellen über (jeder Google-Mitarbeiter z.B. erhält eine unterschiedliche, kleine Anzahl Aktien).
Wichtig ist dabei auch noch diejenige Unterscheidung zwischen dem Geschäftsmodell eines Unternehmens – das gut oder weniger gut sein kann, um das es Niels Pflageing bei dieser Betrachtung jedoch nicht geht – und dem Organisationsmodell eines Unternehmens, in dem der eigentliche Schlamassel auftritt. Hier der spannende, zusammengeschnittene Vortrag bei GOagile in Hamburg, 28 Minuten lang.
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